Paulus: Der Apostel der Völker

Paulus: Der Apostel der Völker
Paulus: Der Apostel der Völker
 
Einer der bedeutendsten, gleichzeitig aber umstrittensten Personen des frühen. Christentums ist Paulus aus Tarsus. An ihm scheiden sich bis heute die Geister. Für die einen war er der eigentliche Begründer des Christentums, ein religiöses Genie, für die anderen war er ein Verfälscher der Frohen Botschaft Jesu. Seine abgrundtiefe Abneigung gegen Paulus bringt besonders anschaulich Friedrich Nietzsche zum Ausdruck. Er nennt Paulus das »Genie im Hass« und bezichtigt ihn, den Erlöser erst eigentlich ans Kreuz geschlagen zu haben. Dass der Mensch und Theologe Paulus in der einen wie der anderen extremen Deutung nicht angemessen erfasst wird, zeigt die historisch-kritische Erforschung seiner Briefe. Daneben ist auch seine Bedeutung für die Entwicklung des frühen. Christentums oft maßlos überschätzt worden, so als hätte er im Alleingang seine Theologie entworfen und gleichzeitig durchgesetzt. Heute wissen wir, dass er viel aus den Gemeinden übernahm, in denen er nach seiner Bekehrung lebte. Zwei Quellen geben uns Auskunft über das Leben des Paulus, über sein Werk und seine Theologie: die Apostelgeschichte und die Briefe, die er an seine Gemeinden geschrieben hat. Historisch zuverlässig informieren uns allerdings nur seine Briefe und hier auch nicht alle Briefe, die unter seinem Namen in das Neue Testament aufgenommen wurden. Als echte Briefe gelten heute: 1. Thessalonicher-, Galater-, 1. und 2. Korinther-, Philipper-, Philemon- und Römerbrief.
 
Paulus wurde um die Zeitenwende in der Handelsstadt Tarsus geboren, der Hauptstadt der römischen Provinz Kilikien, in der heutigen Südosttürkei. Er stammte also nicht aus Palästina, sondern aus der jüdischen Diaspora. Seine Eltern waren praktizierende Juden aus dem Stamm Benjamin. Ob sie das römische Bürgerrecht besaßen, das dann auf Paulus übergegangen wäre, ist umstritten. Ihren Sohn, dem sie bei der Beschneidung den hebräisch-griechischen Doppelnamen Saulus-Paulus gaben, ließen sie eine solide Ausbildung zukommen. Er erlernte neben dem Beruf des Vaters, eines Zeltmachers, die griechische, aramäische und wohl auch hebräische Sprache. Was seine Muttersprache war, ist unklar. Er schreibt das Griechische jedenfalls ohne Semitismen, sodass ein bekannter Gräzist ihn gar als Klassiker der hellenistischen Sprache bezeichnen konnte. Obwohl Paulus nicht im eigentlichen Sinn philosophisch gebildet war, gebraucht er in seinen Briefen immer wieder Begriffe und Gedanken aus der stoischen Populärphilosophie und zeigt darüber hinaus, dass er die Regeln der antiken Rhetorik meisterhaft beherrscht.
 
Der junge Paulus fühlte sich jedoch nicht so sehr von hellenistischem Geist und Denken angezogen, sondern von der Partei der Pharisäer, die mit besonderem Eifer das Studium der Thora, des jüdischen Gesetzes, betrieb. Ihnen schloss er sich an und ging zur theologischen Ausbildung nach Jerusalem. Dieser Eifer für das Gesetz brachte ihn dann auch in ersten Kontakt zur christlichen Gemeinde, allerdings in negativer Weise als ihr Verfolger. Wahrscheinlich wandte er sich vor allem gegen die »Hellenisten«, und zwar erst nachdem sie aus Jerusalem vertrieben worden waren und in den hellenistischen Städten Syriens und Palästinas begannen, christliche Gemeinden zu gründen. Die »Hellenisten«, griechisch sprechende Judenchristen, mussten dem Pharisäer Paulus vor allem deshalb ein Dorn im Auge sein, weil sie im Unterschied zu den aus Palästina stammenden. Christen, den »Hebräern«, schon sehr früh anfingen, den Tempelkult abzulehnen und in diesem Zusammenhang auch andere Teile des jüdischen Gesetzes, etwa die Speise- und Reinheitsvorschriften. Ihr Credo lautete: Nicht mehr der Tempelkult und die damit verbundene Einhaltung bestimmter Gesetzesvorschriften versöhnt die Menschen mit Gott, sondern allein der Glaube an Tod und Auferstehung Jesu Christi. Mit den strafrechtlichen Mitteln der Synagogen, zum Beispiel der Geißelung, versuchte Paulus nun, diese Gruppe und ihre Gemeindegründungen zu zerschlagen.
 
Doch dann geschah das, was die Apostelgeschichte als Bekehrungserlebnis des Paulus vor Damaskus schildert, von dem Paulus selbst aber nur sehr zurückhaltend spricht. Aufgrund dieses Erlebnisses wurde aus dem Verfolger christlicher Gemeinden ein Gesandter (Apostel) Jesu Christi und ein Verkünder seines Evangeliums. Paulus selbst hat von Anfang an dieses Erlebnis nicht nur als Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus verstanden, sondern gleichzeitig als Berufung, das Evangelium bis an die Grenzen der damals bekannten Welt zu bringen, zu Heiden wie zu Juden.
 
Mit dieser Verkündigung begann er sofort nach seiner Bekehrung, um 32/33 n. Chr. Drei Jahre versuchte er - wohl mit geringem Erfolg - als christlicher Missionar in Arabien, dem damaligen Nabatäerreich, zu wirken. Erst dann nahm er das erste Mal Verbindung mit Petrus auf und kam nach Jerusalem. Was er in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes dort mit Petrus besprach, ist nicht überliefert. Wir wissen nur, dass er danach - vielleicht mit kleinen Unterbrechungen - 14 Jahre in Antiochien gelebt und gewirkt hat, der drittgrößten Stadt des Römischen Reiches. In der dort von »Hellenisten« gegründeten christlichen Gemeinde muss Paulus schon bald neben Barnabas eine führende Position eingenommen haben. Umgekehrt hat diese Gemeinde aber wohl auch ihn wesentlich geprägt. Denn es war die erste christliche Gemeinde, die Heiden aufnahm, ohne von ihnen zu verlangen, vorher zum Judentum überzutreten und damit die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten. Die paulinische Verkündigung des »gesetzesfreien Evangeliums« hat hier ihre Wurzeln. Mit Barnabas zusammen unternahm er dann von Antiochien aus seine erste, kleine Missionsreise.
 
Ein Einschnitt in seinem Leben waren schließlich das »Apostelkonzil« in Jerusalem um 48 /49 n. Chr. und die dort gefassten Beschlüsse zur Heidenmission. Sie gingen ihm nicht weit genug, sodass er sich von Barnabas, der die Beschlüsse akzeptiert, trennt und seine Missionstätigkeit im Sinne des »gesetzesfreien Evangeliums« in eigener Verantwortung fortsetzt. In den folgenden zehn Jahren bis zu seinem Tod war er dann unermüdlich unterwegs, um seinem selbst gesteckten Anspruch zu genügen, das Evangelium Jesu Christi bis an die Grenzen der Erde zu bringen. Erst jetzt wird er zum wahren Apostel der Völker. In Kleinasien und Griechenland gründete er eine Reihe von christlichen Gemeinden und betreute sie auch während seiner Abwesenheit. Beides geschah oft gegen großen Widerstand von außen und innen. Die uns erhaltenen Briefe, die der Apostel an seine Gemeinden schrieb, versuchen die Adressaten zu ermahnen und zu ermutigen, zu trösten und zu belehren angesichts dieser nicht einfachen Situation. Sein letzter Brief, der Brief an die Römer, fällt allerdings aus der Reihe. Im Unterschied zu den anderen Briefen schrieb Paulus diesen an eine Gemeinde, die er nicht gegründet hat, ja, die er noch nicht einmal kennt. Entsprechend beschäftigt sich der Brief nicht mit den Angelegenheiten der römischen Gemeinde, sondern bildet eine Art Zusammenfassung der paulinischen Theologie. Mit dieser theologischen »Summe« stellte Paulus sich der Gemeinde vor, die er auf dem Weg nach Spanien besuchen will.
 
Doch in den äußersten Westen des Römischen Reiches ist er wohl nicht mehr gekommen. Denn als er der Jerusalemer Urgemeinde die Kollekte überreichen wollte, die seine Gemeinden für sie gesammelt hatten, wurde er von den Römern gefangen genommen und nach Caesarea am Meer gebracht, der Residenz des römischen Statthalters von Judäa. Dort wurde er zwei Jahre festgehalten, bevor er als Gefangener nach Rom überführt wurde. Wie lange Paulus in Rom noch gelebt hat, ist unklar. Der erste Clemensbrief berichtet uns, dass er unter Nero im Jahre 60 oder 64 den Märtyrertod fand.
 
Dr. Angelika Strotmann
 
 
Bornkamm, Günther: Paulus. Festschrift Hans Freiherr von Campenhausen. Stuttgart u. a. 71993.
 Brown, Peter: Die Entstehung des christlichen Europa. Aus dem Englischen. München 1996.
 Vouga, François: Geschichte des frühen Christentums. Tübingen u. a. 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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